Das Heilige Jahr – Fragen zum Bildzyklus und dem gleichnamigen Text


Handelt es sich um ein bestimmtes Jahr?

Das Heilige Jahr meint einen Zyklus aus mehreren kosmischen Jahren. Darin kommen alle Entwicklungsstadien unserer Erfahrung als Menschen vor – von Entstehen, Wachstum über Entfalten von Reichtum und Erfolg bis Ernte und Transformation.

Gab es ein Ereignis, das dich zu diesem Bilderzyklus mit dem Titel „Das Heilige Jahr“ inspiriert hat?

Die Idee reifte seit Jahren. Bereits 2020 hatte ich die textilen Malgründe dafür vorbereitet. Dann mit dem radikalen Aufhören, was sich später als „Sabbathalbjahr“ herausstellen sollte, Anfang 2021 sämtliches Material verkauft … und im Herbst des gleichen Jahres ebendieses wieder zurückgekauft und mit der Bildgruppe begonnen, das ganze Leben, Reisen und Rituale daran ausgerichtet, wobei auch die Prinzipien der Texte sich parallel dazu ausformten, welche ich dann nach und nach 2022 verfasste.

Sind die 9 Bilder in Zusammenhang zu betrachten oder ist jedes einzelne davon „eigenständig“? Oder bilden sie Gruppen zu je 3?

Tatsächlich könnte man – wenn man den Blick auf das geschehende verbundene Werden in uns und um uns richtet – feststellen, dass es Untergruppen von jeweils drei gibt, die jeweils Entstehung, Verwirklichung und Auslaufen repräsentieren. Im Zyklus „Das Heilige Jahr“ möchte ich den Fokus auf den gesamten Neunjahresumlauf richten und dessen visuelle Codierung für alle sichtbar, spürbar und nutzbar werden lassen.
Jedes der Bilder ist selbst eigenständig, so wie auch jeder von uns gelebte Moment eigenständig ist und doch in die Idee von Vergangenheit und Zukunft eingebunden.

Wieso sind es gerade neun Bilder?

Jedes Bild steht symbolisch für ein Einzeljahr innerhalb des Zyklus aus neun Einzeljahren – dem „Heiligen Jahr“. In den nunmehr schon Jahrzehnten des Entfaltens meiner bildnerischen Vision habe ich beobachtet, dass sich alle neun Jahre etwas zu formieren beginnt und dann lernt, wächst, schwebt, zur Ernte reift (wie es das 8. Bild der Gruppe verkörpert) und schließlich zur Wandlung bereit wird.

Hast du gleichzeitig an allen Bildern gearbeitet?

Ja. Wie Geschwister, die viel teilen und gemeinsam aufwachsen … zu individuellen Persönlichkeiten. Sie liegen mir alle gleichermaßen am Herzen, jedes auf seine eigene Weise.

Was bedeutet „heilig“ für dich?

Es ist eine subtile Erfahrung, die uns – wie die Gravitation das Wasser zum Meer – zum Einssein mit der vollkommenen Gegenwart zieht.

Was wünschst du dir, wie und welche Botschaft der/die Betrachtende aufnimmt?

Dass er oder sie sich hineinfühlen kann und dadurch in Kontakt zur eigenen vollkommenen Gegenwart gelangt.

Wie hast du festgestellt, dass die Bildgruppe abgeschlossen ist?

Das wird ganz allmählich von selbst klar, das Gefühl des Abgeschlossenseins wächst – einerseits dem Organischen des Schaffens folgend, dann die Texte abwartend und schließlich sie im jetzigen Zustand als abgeschlossen wahrnehmend … im Leben mit den Bildern und auf diese ausgerichtet.
Fertig im Sinne von nicht unfertig sind sie jedoch jederzeit, von der ersten Geste, in jeder Phase, da der Prozess immer im Losgehen und Ankommen gleichzeitig ist.

Ich fände es schön, den Text direkt zum Bild lesen zu können. Im Katalog* ist das so, glaube ich? In der Bilderhalle und im Werkverzeichnis leider nicht.

Ja, das stimmt. Das Bild und der Text sind zusammen mit Bezug zur gleichen Quelle und im selben Zeitfenster entstanden, dennoch sind sie jeweils eigenständig in ihrem authentischen Feld. Der Katalog wird zum Hain ihrer Begegnung.

Sind es die Gedanken und Eingebungen, die während deiner Arbeit am Werk in dir entstehen?

Die Bilder waren bereits ein Dreivierteljahr am Entstehen, als ich zu einem späteren Zeitpunkt die Arbeit an den Texten begann. Es sind neun Texte, die sich konkret auf das jeweilige Bild beziehen und dessen Thema vertiefen. Jeder der Texte hat eine dreigliedrige Struktur – Morgens, Mittags, Abends. Wobei der erste Abschnitt die visuelle Tür zum Bild ist und konkret dessen Erscheinung aufgreift. Der zweite Abschnitt entfaltet das Thema (was sich auch im Titel des Textes ausdrückt) im möglichkeitsoffenen Zwischenraum  der Worte für die Lesenden/Betrachtenden. Der dritte Abschnitt enthält eine konkrete Episode mit einem Buch. Ein Moment der Begegnung mit einem Buch, im Zeitfenster des Geschehens des im Fokus befindlichen Bildes. Fokusbild nenne ich das dann und an diesem Bild passieren dann die Entscheidungen und Geschehnisse, sowohl in der Gegenwart, als auch in der Vergangenheit und in der Zukunft.

Ist das Buch, dessen Geschichte du jeweils unter dem Abschnitt „Abends“ andeutest, eine Metapher? Oder tatsächlich ein bestimmtes Buch?

Es ist ein magischer Moment, der das Konkrete als Metapher in einem poetischen Hain pflanzt, und ebenso ist es ein analytischer Zusammenhang, der das Symbolische als Metapher im Konkreten verankert.

Hab ich das richtig verstanden: Zu jedem der neun Bilder hast du eine eigene Buchgeschichte („Abends“)? Es handelt sich jedesmal um ein anderes Buch, das im Zeitraum der Bearbeitung  des Fokusbildes zu dir gefunden hat? Bitte beschreibe noch mal konkreter, wie du vorgehst, wenn du dann am Fokusbild arbeitest (wählst du es der Reihe nach aus oder willkürlich, wie lange hast du es im Fokus etc.)

Ja, es geht um jeweils ein anderes Buch, das mir gerade in einem Jahr mit der gleichen Signatur wie das in Bild und Text thematisierte, auf teilweise mysteriöse Weise, begegnete.  Entweder in der Vergangenheit in einem Jahr, das dem thematisierten entsprach – wie beim 1. Bild – oder die Begegnung passierte gerade zum aktuellen Zeitpunkt während der Arbeit am Fokusbild wie im Fall von Bild 2.
Das was ich Fokusbild nenne, ist ein Bild des Zyklus, was für einen Zeitraum (jeweils ca. ein Monat) die volle Aufmerksamkeit enthält. Es ist so eine Art Finishing, wodurch dieses Fokusbild seine endgültige Prägung erhält. An diesem Bild treffe ich dann die konkreten Farb- und Strukturentscheidungen (wie weiter unten beschrieben), was sich auch auf den Prozess der ganzen Bildgruppe in der Zeit auswirkt.

Besteht für dich zwischen bestimmten Farben und bestimmten Gefühlen ein Zusammenhang? 

Glück ist in jeder Farbe enthalten und die gesamte Bildgruppe ruht in der Fülle des  Gefühlspotenzials eines umlaufenden Jahres. Alles wofür Farbentscheidungen stehen können – ob Heiterkeit, ob Trauer, ob Wut, Angst, Scham, wilde Freude, was auch immer möglich ist im Erlebnisraum des Menschseins, darf enthalten sein und integriert sich in fortlaufender Arbeit durch alle Jahreszeiten und Lichtverhältnisse.
Die konkrete Farbwahl geschieht intuitiv, in Ausrichtung auf das, was das Thema des jeweiligen Bildes ist. Das ganze Leben ist darauf ausgerichtet. Da ist dann Vertrauen, dass nur die richtige Wahl geschehen kann.
Die Wahl kann durchaus auch im Warten bestehen, im Nichtwählen.

Im Text (III Freihändig) weist du manchen Farben Gefühle zu: Hoffnung des Grün, der Verzweiflung des Violett und Resignation in Gelb. Diese Farb-Gefühl-Assoziationen sind jedoch nicht statisch, sondern variieren von Bild zu Bild?

Sie verwirklichen sich in einem einzigartigen Kontext, das heißt im Bild-Text-Raum, der ebenso individuell in seinem Zusammentreffen der Parameter ist wie universell in seiner tendenziellen Navigation.

Hat sich die Wahl der Farben im Verlauf der Jahreszeiten verändert bzw. hat jede Jahreszeit eine (oder mehrere) dominante Farben?

Farbe ist stets Entscheidung und wirkt ob bewusst oder nicht von der Quelle des Wahrnehmens.
Da die Bilder über fast zwei Jahre gewachsen sind (Herbst 2021 bis Sommer 2023), integrieren sich alle auftretenden Lichtverhältnisse, von Sommer bis Winter, und von unterschiedlicher Gestimmtheit mühelos mit in die Gesamtheit des koloristischen Bouquets.
Die Farbsignatur der einzelnen Bilder ist vielmehr von deren Position im Zyklus bestimmt. Daran habe ich mich einfach ausgerichtet und dann die Farbwahl in vielen tausenden Einzelentscheidungen zugelassen. Gewissermaßen im Entstehenlassen beispielsweise die erwachende Energie des zweiten Jahres verwirklicht.

Ich mag diesen Satz ganz besonders: „Ich wusste noch nicht, dass ich in mir die Sterne besaß, ich selbst die Sterne war. Gelb, orange, zinnober.“ Auch hier eine Zuweisung der Farben: Gelb, orange, zinnober = Sterne = du. Gilt das für alle Bilder oder nur für Nr. 4?

Es gilt ebenso für die Betrachtenden/Lesenden auf der vierten Position in zyklischen Prozessen.


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* „Transmission translation (Das Heilige Jahr / Die Heilige Familie)“ 2023

Das Interview wurden mit verschiedenen Gesprächspartnern im Mai 2024
geführt.