Bücherregal – Fragen zu den Plastiken


Du beschreibst die Bücherregale als Symbole für die Alchemie der Wandlung. Welche Art der Wandlung hast du dabei im Sinn? Persönliche? Politische? Gesellschaftliche?

Alles gleichzeitig. Innere und äußere Wandlung. Es gibt ein Davor – eine Struktur, die sich auflöst … Ganz konkret sogar: Die Skulpturen sind tatsächlich vorher Bücherregale gewesen, die ich zersägt habe. Das Davor muss sich nämlich vollständig auflösen, es muss etwas unwiederbringbar werden, dass wirklicher Wandel möglich ist. Das Konzept „Zukunft“ ist dabei erst nach der Wandlung denk- und gestaltbar. Im Bauch der Wandlung ist Zukunft ein unbekannter Raum. Vor der Wandlung heißt die Zukunft „Wandlung“. Der Modus der Wahrnehmung ändert sich also – vor der Wandlung gibt es eine andere Zukunft als danach.

Du hast deine eigene Büchersammlung aufgelöst, obwohl Bücher einen hohen Stellenwert in deinem Leben einnehmen. Welcher Impuls hat dazu geführt? Haben die Bücherregal-Plastiken eine Verbindung zu deiner Büchersammlung?

Ich habe diese Sammlung aufgelöst, gerade weil Bücher so einen hohen Stellenwert einnehmen. Eigentlich arbeitet man immer mit dem „inneren Buch“, also all dem, was man bereits gelesen hat. Irgendwann spaltet sich das Buch in Objekt (das im Bücherregal steht) und reine Essenz und die innere Spur des Prozesses des Lesens verwirklicht sich.

Du gestaltest die Bücherregale in einer Grundierung von Weiß oder Schwarz, aus denen wunderbar kräftige, klare Farben "hervorquellen". Möchtest du damit auf die Vielfalt, den Reichtum der Buchinhalte hinweisen?

Was die Farben betrifft, habe ich tatsächlich meine gesamtes Farbspektrum, alle vorhandenen Ölfarben, dabei verbraucht. Ein Auslöschen der Vergangenheit und Zuwenden zur Lebensfarbform im Zwischenraum, ohne noch von dem Plan des Gestern zu wissen, ohne schon die Vision des Morgen zu kennen. Mit der Grundierung habe ich die aufgeschichteten Bücherregalbretter dann wie eine Leinwand behandelt. Ja, die Farben kodieren gewissermaßen die Vielfalt der Bücher, deren verschiedene Sprachen und Inhalten, zu lesen heißt hier zu sehen.

Um wie viele Bücher geht es eigentlich und welche hast du gelesen?

Wahrscheinlich recht viele. Vor mehreren Umzügen waren es Tausende. Als Kind habe ich schon gern Bücher in anderen Sprachen gelesen, zuerst entziffert. Dann die Grammatik erlernt, die Sprachen erlernt. Es geht um die Essenz. Das hinter der Sprache. Die Übersetzung ist das, was wir dabei benennen können. Lesen ist ein wenig wie Zeichnen. Ein Beleuchten, Ordnen, Gestalten von Welt an der Schnittstelle von innen und außen. Mehr als der reine Text. Mehr als die reine Struktur des Textes. Mehr als der reine Gedanke entlang des Textes. Die Plastiken „Bücherregal“ sind genau diese Schnittstelle, die Eingeweide der Wandlung. Das Loslassen der Einheit, das Loslassen der Idee vom Buch um die Quelle des Buches zu enthüllen. Im lebendigen Lesen verwirklicht sich die vollkommene Gegenwart.

Gibt es für dich ein Buch, das du trotz Auflösung deiner Büchersammlung niemals hergeben würdest?

Tatsächlich gibt es zwei Bücher, die mehrmals gelesen habe und so mit Notizen und Unterstreichungen versehen habe, dass ich sie gern behalten wollte. Als persönliches Notizbuch sozusagen.

Zu deinen aktuellsten Werken gehören die Rutenbündel. Du hast erzählt, dass die antiken Fasces (aus denen auch der Begriff Faschismus abgeleitet wurde) deine Inspiration dafür waren. Welchen Gedanken möchtest du den Betrachtenden mitgeben? Warum möchtest du den Blick gerade auf dieses antike Machtsymbol richten?

Im Antiken Rom war in das Rutenbündel ein Beil eingeschnürt. Die Fasern des Bündels – das waren die Bildabschlussleisten, mit denen ich meine frühesten Gemälde eingefasst hatte. Ich hatte sie irgendwann abgenommen seither und drei Jahrzehnte lang gelagert. Statt dem Beil besitzen sie innen einen Hohlraum und dieser ist zu ca. einem Drittel mit Flusssteinen gefüllt. Diese habe ich bei Gehmeditationen im letzten Jahrzehnt zusammengetragen. Das sind also alles biografische Elemente. Die Farbe Grau ist wie klares Wasser, die die Symbolik dieser Elemente in monochromer Potentialität auflöst. 

Da muss ich an deine Phase der „monochromen Bilder“ denken …

Dort ging es um die ehrliche Darstellung des gleichzeitig Sichtbaren, nicht nur des Gesehenen. Nehmen wir wieder als Beispiel den Fluss, wir sagen, wir würden Wasser sehen. Tatsächlich ist aber das, was gleichzeitig sichtbar ist, zum Beispiel das Spiegelbild des Himmels, auf der Oberfläche treibende Blätter, der Schatten des Baumes über uns, ein Staubkorn auf der Sonnenbrille, unsere eigenen Wimpern … Das Licht des Ewigen Seins hat keinen Schatten, keinen Kontrast, keinen Gegenspieler, es lässt ein gleichzeitiges Schauen zu, ohne den Widerspruch konzeptgesteuerten Sehens. Die Einheit des Sichtbaren zu schauen, heißt Licht zu schauen.



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Das Interview wurden mit verschiedenen Gesprächspartnern im Oktober 2024 geführt.