Rede zur Eröffnung am 21. März 2025
von Alexander Stoll
Immer wenn ich Michael Goller in seinem Atelier auf dem hinteren Kaßberg
besuche, bin ich überrascht, wie aufgeräumt, wie klar, ja geradezu leer
sein großer Atelierraum ist. Ganz anders, als bei vielen seiner Kollegen,
wo sich meist fertige Werke, Materialien, Rahmen, große Grafikschränke und
oft auch alle möglichen anderes, wie Gerätschaften, Utensilien, oder auch
zahlreiches Sammelgut oder Fundstücke finden. Mitunter kann man dort kaum
stehen, geschweige denn konzentriert ein einzelnes Werk betrachten,
vieles, ja zu vieles zieht die Aufmerksamkeit an sich. Der Blick schweift
von einem zum nächsten… - Bei Michael Goller ist das vollkommen anders.
Alles ist sehr karg, die Wände weiß getüncht und zum großen Teil (oder
vergleichsweise) leer, Mobiliar gibt es kaum. Natürlich sind da zwei
Stühle und ein kleiner Tisch - wir können uns setzen und einen Kaffee
trinken und über sein Schaffen und seine Werke sprechen. Einige Leinwände
liegen auch auf dem Boden, oder lehnen an der Wand. Aber das sind nur
seine jüngsten Kinder, jene Werke, ab denen er zur Zeit gerade arbeitet.
Die aber insgesamt recht nüchterne Atmosphäre war bei ihm eigentlich schon
immer da, zuletzt aber, ist es noch deutlicher zu spüren und das hängt mit
seinem Leben und seiner aktuellen Situation der vergangenen Monate
unmittelbar zusammen. Davon erzählen die Werke dieser Ausstellung.
Wie bereits vor ein paar Jahren ergab sich 2024 für Michael Goller eine
längere Schaffenspause. Daraus wurde dann, wie er sagt, ein Sabbathalbjahr
– ein Zeitraum also, in dem seine künstlerische Arbeit ruhte. Er war an
einem Punkt, an dem es galt innezuhalten, er spricht selbst von einer
„Schnittstelle der Wandlung“, die sich in den plastischen Arbeiten hier
der Ausstellung manifestiert. Goller ist bisher ja in der Regel als Maler
und Zeichner hervorgetreten, weniger als Plastiker oder Objektkünstler.
Was aber sein gesamtes Schaffen schon immer geprägt hat, ist ein enger
biografischer Bezug und eine intensive Selbstreflexion.
Zu Beginn seines letzten Sabbathalbjahres hat sich Michael Goller von
vielem getrennt, er erzählt: es sei ein „Loslassen“ nötig gewesen, ein
Trennen von allem Ballast. Er Spricht auch von Thomas Mann und seinem
„Zauberberg“, wo es auch um ein Loslassen „von der Welt da unten“ geht, um
ein Aufheben jeglichen Zeitgefühls. Er verkaufte seine Grafikschränke,
seine vorbereiteten Keilrahmen. Selbst von seinen Büchern, die bisher für
ihn von zentraler Bedeutung waren, trennte er sich radikal und umfassend.
Es blieben nur die Bücherregale übrig… Diese wurden später von ihm zersägt
und wie Bretter gestapelt, als wäre es Feuerholz. Die so entstandenen
Stapel (die wiederum auch etwas an Bücherstapel erinnern) wurden nun weiß
oder schwarz grundiert und aus ihnen quillen Farbflecken, wie sie
unmittelbar aus der Tube herausgedrückt wurden.
Die Farbflecken wirken wie Schlusspunkte unter dem Gelesenen, Goller
verweist in einem Interview auf die „Essenz“ der Bücher, die Inhalte der
Lektüre, welche er in all ihrer Vielfalt und Farbigkeit mit sich trägt –
auch wenn er die Bücher physisch schon längst nicht mehr sein eigen nennt
(und dies auch nicht muss!).
Ähnlich verhält es sich mit den Rutenbündeln,
die von den antiken Fasces inspiriert sind. Hier handelt es sich um
Bilderrahmenleisten, die Goller über viele Jahre, nachdem er sie nicht
mehr um die Keilrahmen anbrachte, aufbewahrt hatte. Im Inneren sind sie –
für den Betrachter von außen nicht sichtbar – mit Flusssteinen gefüllt.
Diese hat Goller, der häufig und auch meditierend zu Fuß unterwegs ist,
auf seinen Wanderungen aus Flüssen gesammelt. Also auch hier: es wurde
nicht einfach Material benutzt, sondern in allem findet sich eine
ausgeprägte persönliche Verbindung.
Diese Objekte bilden den Dreh- und Angelpunkt der Wandlung, Goller nennt
sie die „Eingeweide der Wandlung“ – und damit auch dieser Ausstellung, die
in drei Teile gegliedert ist: erstens „vor der Wandlung“, zweitens den
gerade besprochenen „Eingeweiden der Wandlung“ und drittens „Neuaufbruch“.
Gollers Werke präsentieren sich weitgehend ungegenständlich, d.h. sie
haben in der Regel keine real fassbaren Gegenstände aus unserer Umwelt zum
Motiv. Ihr Gegenstand ist vielmehr das Unsichtbare, etwas, was erst
visualisiert werden muss und damit erweisen sie sich als biografische
Niederschriften, als unmittelbarer Ausdruck des Inneren. Gestische und
skripturale Strukturen bestimmen über weite Strecken seine bildnerischen
Mittel. Das wird auch – und in besonderer, verfeinerter Prägnanz – in
seinen Zeichnungen sichtbar.
Dabei arbeitet der Künstler immer phasenweise. Eine bestimmte Bildidee
wird darin auf verschiedene Weise durchgespielt, bis sich diese für ihn
erschöpft hat. Dann ist es Zeit zu neuen Ufern aufzubrechen. Meist kündigt
sich das schon im Vorangegangen an. Goller ist ein gut strukturierter
Künstler, er überlegt und reflektiert über sein bildnerisches Tun auf
intensive Weise. Dennoch gibt er auch der Intuition, seiner inneren
Empfindung breiten Raum, lässt das Unterbewusste in seine Bilder
hineinfließen.
Diese Arbeitsweise führt zu immer wieder neuen Bildfindungen, die stets
auf einander aufbauen, an das vorangegangene in irgendeiner Weise
anknüpfen. Das lässt sich in dieser Ausstellung, die als ein Querschnitt
der letzten Jahre zu sehen ist, bestens nachvollziehen.
„Nichts ist beständiger als der Wandel.“ (Heraklit) – das wusste der
griechische Philosoph schon vor 2.500 Jahren. Damit erweist sich Gollers
Ausstellung nicht nur als eine persönliche Offenbarung, sondern ist
zugleich auch Ausdruck aktuellsten Zeitgeschehens.
Werke aus der Sammlung Knauth
im Kabinett der Galerie