Bücherregal

Kunstverein burk-art 21.3. – 22.6. 2025
 

Ausstellungsansicht "Bücherregal", Kunstverein burk-art
Ausstellungsansicht "Bücherregal", Kunstverein burk-art - Das Heilige Jahr 9
Ausstellungsansicht "Bücherregal", Kunstverein burk-art - Holy


Rede zur Eröffnung am 21. März 2025
von Alexander Stoll

Immer wenn ich Michael Goller in seinem Atelier auf dem hinteren Kaßberg besuche, bin ich überrascht, wie aufgeräumt, wie klar, ja geradezu leer sein großer Atelierraum ist. Ganz anders, als bei vielen seiner Kollegen, wo sich meist fertige Werke, Materialien, Rahmen, große Grafikschränke und oft auch alle möglichen anderes, wie Gerätschaften, Utensilien, oder auch zahlreiches Sammelgut oder Fundstücke finden. Mitunter kann man dort kaum stehen, geschweige denn konzentriert ein einzelnes Werk betrachten, vieles, ja zu vieles zieht die Aufmerksamkeit an sich. Der Blick schweift von einem zum nächsten… - Bei Michael Goller ist das vollkommen anders. Alles ist sehr karg, die Wände weiß getüncht und zum großen Teil (oder vergleichsweise) leer, Mobiliar gibt es kaum. Natürlich sind da zwei Stühle und ein kleiner Tisch - wir können uns setzen und einen Kaffee trinken und über sein Schaffen und seine Werke sprechen. Einige Leinwände liegen auch auf dem Boden, oder lehnen an der Wand. Aber das sind nur seine jüngsten Kinder, jene Werke, ab denen er zur Zeit gerade arbeitet. Die aber insgesamt recht nüchterne Atmosphäre war bei ihm eigentlich schon immer da, zuletzt aber, ist es noch deutlicher zu spüren und das hängt mit seinem Leben und seiner aktuellen Situation der vergangenen Monate unmittelbar zusammen. Davon erzählen die Werke dieser Ausstellung.

Wie bereits vor ein paar Jahren ergab sich 2024 für Michael Goller eine längere Schaffenspause. Daraus wurde dann, wie er sagt, ein Sabbathalbjahr – ein Zeitraum also, in dem seine künstlerische Arbeit ruhte. Er war an einem Punkt, an dem es galt innezuhalten, er spricht selbst von einer „Schnittstelle der Wandlung“, die sich in den plastischen Arbeiten hier der Ausstellung manifestiert. Goller ist bisher ja in der Regel als Maler und Zeichner hervorgetreten, weniger als Plastiker oder Objektkünstler. Was aber sein gesamtes Schaffen schon immer geprägt hat, ist ein enger biografischer Bezug und eine intensive Selbstreflexion.

Zu Beginn seines letzten Sabbathalbjahres hat sich Michael Goller von vielem getrennt, er erzählt: es sei ein „Loslassen“ nötig gewesen, ein Trennen von allem Ballast. Er Spricht auch von Thomas Mann und seinem „Zauberberg“, wo es auch um ein Loslassen „von der Welt da unten“ geht, um ein Aufheben jeglichen Zeitgefühls. Er verkaufte seine Grafikschränke, seine vorbereiteten Keilrahmen. Selbst von seinen Büchern, die bisher für ihn von zentraler Bedeutung waren, trennte er sich radikal und umfassend. Es blieben nur die Bücherregale übrig… Diese wurden später von ihm zersägt und wie Bretter gestapelt, als wäre es Feuerholz. Die so entstandenen Stapel (die wiederum auch etwas an Bücherstapel erinnern) wurden nun weiß oder schwarz grundiert und aus ihnen quillen Farbflecken, wie sie unmittelbar aus der Tube herausgedrückt wurden.

Die Farbflecken wirken wie Schlusspunkte unter dem Gelesenen, Goller verweist in einem Interview auf die „Essenz“ der Bücher, die Inhalte der Lektüre, welche er in all ihrer Vielfalt und Farbigkeit mit sich trägt – auch wenn er die Bücher physisch schon längst nicht mehr sein eigen nennt (und dies auch nicht muss!).

Ähnlich verhält es sich mit den Rutenbündeln, die von den antiken Fasces inspiriert sind. Hier handelt es sich um Bilderrahmenleisten, die Goller über viele Jahre, nachdem er sie nicht mehr um die Keilrahmen anbrachte, aufbewahrt hatte. Im Inneren sind sie – für den Betrachter von außen nicht sichtbar – mit Flusssteinen gefüllt. Diese hat Goller, der häufig und auch meditierend zu Fuß unterwegs ist, auf seinen Wanderungen aus Flüssen gesammelt. Also auch hier: es wurde nicht einfach Material benutzt, sondern in allem findet sich eine ausgeprägte persönliche Verbindung.

Diese Objekte bilden den Dreh- und Angelpunkt der Wandlung, Goller nennt sie die „Eingeweide der Wandlung“ – und damit auch dieser Ausstellung, die in drei Teile gegliedert ist: erstens „vor der Wandlung“, zweitens den gerade besprochenen „Eingeweiden der Wandlung“ und drittens „Neuaufbruch“.

Gollers Werke präsentieren sich weitgehend ungegenständlich, d.h. sie haben in der Regel keine real fassbaren Gegenstände aus unserer Umwelt zum Motiv. Ihr Gegenstand ist vielmehr das Unsichtbare, etwas, was erst visualisiert werden muss und damit erweisen sie sich als biografische Niederschriften, als unmittelbarer Ausdruck des Inneren. Gestische und skripturale Strukturen bestimmen über weite Strecken seine bildnerischen Mittel. Das wird auch – und in besonderer, verfeinerter Prägnanz – in seinen Zeichnungen sichtbar.

Dabei arbeitet der Künstler immer phasenweise. Eine bestimmte Bildidee wird darin auf verschiedene Weise durchgespielt, bis sich diese für ihn erschöpft hat. Dann ist es Zeit zu neuen Ufern aufzubrechen. Meist kündigt sich das schon im Vorangegangen an. Goller ist ein gut strukturierter Künstler, er überlegt und reflektiert über sein bildnerisches Tun auf intensive Weise. Dennoch gibt er auch der Intuition, seiner inneren Empfindung breiten Raum, lässt das Unterbewusste in seine Bilder hineinfließen.

Diese Arbeitsweise führt zu immer wieder neuen Bildfindungen, die stets auf einander aufbauen, an das vorangegangene in irgendeiner Weise anknüpfen. Das lässt sich in dieser Ausstellung, die als ein Querschnitt der letzten Jahre zu sehen ist, bestens nachvollziehen.

„Nichts ist beständiger als der Wandel.“ (Heraklit) – das wusste der griechische Philosoph schon vor 2.500 Jahren. Damit erweist sich Gollers Ausstellung nicht nur als eine persönliche Offenbarung, sondern ist zugleich auch Ausdruck aktuellsten Zeitgeschehens.


Michael Goller Kunstverein burk_art - Kabinett mit Werken aus der Sammlung Knauth

Werke aus der Sammlung Knauth
im Kabinett der Galerie