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       von Alexander Stoll
      
Immer wenn ich Michael Goller in seinem Atelier auf dem hinteren Kaßberg
      besuche, bin ich überrascht, wie aufgeräumt, wie klar, ja geradezu leer
      sein großer Atelierraum ist. Ganz anders, als bei vielen seiner Kollegen,
      wo sich meist fertige Werke, Materialien, Rahmen, große Grafikschränke und
      oft auch alle möglichen anderes, wie Gerätschaften, Utensilien, oder auch
      zahlreiches Sammelgut oder Fundstücke finden. Mitunter kann man dort kaum
      stehen, geschweige denn konzentriert ein einzelnes Werk betrachten,
      vieles, ja zu vieles zieht die Aufmerksamkeit an sich. Der Blick schweift
      von einem zum nächsten… - Bei Michael Goller ist das vollkommen anders.
      Alles ist sehr karg, die Wände weiß getüncht und zum großen Teil (oder
      vergleichsweise) leer, Mobiliar gibt es kaum. Natürlich sind da zwei
      Stühle und ein kleiner Tisch - wir können uns setzen und einen Kaffee
      trinken und über sein Schaffen und seine Werke sprechen. Einige Leinwände
      liegen auch auf dem Boden, oder lehnen an der Wand. Aber das sind nur
      seine jüngsten Kinder, jene Werke, ab denen er zur Zeit gerade arbeitet.
      Die aber insgesamt recht nüchterne Atmosphäre war bei ihm eigentlich schon
      immer da, zuletzt aber, ist es noch deutlicher zu spüren und das hängt mit
      seinem Leben und seiner aktuellen Situation der vergangenen Monate
      unmittelbar zusammen. Davon erzählen die Werke dieser Ausstellung.
      
      Wie bereits vor ein paar Jahren ergab sich 2024 für Michael Goller eine
      längere Schaffenspause. Daraus wurde dann, wie er sagt, ein Sabbathalbjahr
      – ein Zeitraum also, in dem seine künstlerische Arbeit ruhte. Er war an
      einem Punkt, an dem es galt innezuhalten, er spricht selbst von einer
      „Schnittstelle der Wandlung“, die sich in den plastischen Arbeiten hier
      der Ausstellung manifestiert. Goller ist bisher ja in der Regel als Maler
      und Zeichner hervorgetreten, weniger als Plastiker oder Objektkünstler.
      Was aber sein gesamtes Schaffen schon immer geprägt hat, ist ein enger
      biografischer Bezug und eine intensive Selbstreflexion.
      
      Zu Beginn seines letzten Sabbathalbjahres hat sich Michael Goller von
      vielem getrennt, er erzählt: es sei ein „Loslassen“ nötig gewesen, ein
      Trennen von allem Ballast. Er Spricht auch von Thomas Mann und seinem
      „Zauberberg“, wo es auch um ein Loslassen „von der Welt da unten“ geht, um
      ein Aufheben jeglichen Zeitgefühls. Er verkaufte seine Grafikschränke,
      seine vorbereiteten Keilrahmen. Selbst von seinen Büchern, die bisher für
      ihn von zentraler Bedeutung waren, trennte er sich radikal und umfassend.
      Es blieben nur die Bücherregale übrig… Diese wurden später von ihm zersägt
      und wie Bretter gestapelt, als wäre es Feuerholz. Die so entstandenen
      Stapel (die wiederum auch etwas an Bücherstapel erinnern) wurden nun weiß
      oder schwarz grundiert und aus ihnen quillen Farbflecken, wie sie
      unmittelbar aus der Tube herausgedrückt wurden. 
      
      Die Farbflecken wirken wie Schlusspunkte unter dem Gelesenen, Goller
      verweist in einem Interview auf die „Essenz“ der Bücher, die Inhalte der
      Lektüre, welche er in all ihrer Vielfalt und Farbigkeit mit sich trägt –
      auch wenn er die Bücher physisch schon längst nicht mehr sein eigen nennt
      (und dies auch nicht muss!).
      
      Ähnlich verhält es sich mit den Rutenbündeln,
      die von den antiken Fasces inspiriert sind. Hier handelt es sich um
      Bilderrahmenleisten, die Goller über viele Jahre, nachdem er sie nicht
      mehr um die Keilrahmen anbrachte, aufbewahrt hatte. Im Inneren sind sie –
      für den Betrachter von außen nicht sichtbar – mit Flusssteinen gefüllt.
      Diese hat Goller, der häufig und auch meditierend zu Fuß unterwegs ist,
      auf seinen Wanderungen aus Flüssen gesammelt. Also auch hier: es wurde
      nicht einfach Material benutzt, sondern in allem findet sich eine
      ausgeprägte persönliche Verbindung.
      
      Diese Objekte bilden den Dreh- und Angelpunkt der Wandlung, Goller nennt
      sie die „Eingeweide der Wandlung“ – und damit auch dieser Ausstellung, die
      in drei Teile gegliedert ist: erstens „vor der Wandlung“, zweitens den
      gerade besprochenen „Eingeweiden der Wandlung“ und drittens „Neuaufbruch“.
      
      Gollers Werke präsentieren sich weitgehend ungegenständlich, d.h. sie
      haben in der Regel keine real fassbaren Gegenstände aus unserer Umwelt zum
      Motiv. Ihr Gegenstand ist vielmehr das Unsichtbare, etwas, was erst
      visualisiert werden muss und damit erweisen sie sich als biografische
      Niederschriften, als unmittelbarer Ausdruck des Inneren. Gestische und
      skripturale Strukturen bestimmen über weite Strecken seine bildnerischen
      Mittel. Das wird auch – und in besonderer, verfeinerter Prägnanz – in
      seinen Zeichnungen sichtbar.
      
      Dabei arbeitet der Künstler immer phasenweise. Eine bestimmte Bildidee
      wird darin auf verschiedene Weise durchgespielt, bis sich diese für ihn
      erschöpft hat. Dann ist es Zeit zu neuen Ufern aufzubrechen. Meist kündigt
      sich das schon im Vorangegangen an. Goller ist ein gut strukturierter
      Künstler, er überlegt und reflektiert über sein bildnerisches Tun auf
      intensive Weise. Dennoch gibt er auch der Intuition, seiner inneren
      Empfindung breiten Raum, lässt das Unterbewusste in seine Bilder
      hineinfließen.
      
      Diese Arbeitsweise führt zu immer wieder neuen Bildfindungen, die stets
      auf einander aufbauen, an das vorangegangene in irgendeiner Weise
      anknüpfen. Das lässt sich in dieser Ausstellung, die als ein Querschnitt
      der letzten Jahre zu sehen ist, bestens nachvollziehen. 
      
      „Nichts ist beständiger als der Wandel.“ (Heraklit) – das wusste der
      griechische Philosoph schon vor 2.500 Jahren. Damit erweist sich Gollers
      Ausstellung nicht nur als eine persönliche Offenbarung, sondern ist
      zugleich auch Ausdruck aktuellsten Zeitgeschehens.
    
 
Werke aus der Sammlung Knauth 
        im Kabinett der Galerie