Michael Goller – Atemluft fließt durch den Stein
Einführung von Frank Weinhold
Eines der wohl bekanntesten Werke des tschechischen Komponisten
Bedřich Smetana ist „Die Moldau“ von 1874 aus dem Zyklus „Mein
Vaterland“. Die Komposition schildert den Lauf der Moldau. Sie
belauscht ihre ersten zwei Quellen, die warme und die kalte Moldau,
verfolgt dann die Vereinigung beider Bäche und den Lauf des
Moldaustromes über die weiten Wiesen und Haine, durch Gegenden, wo die
Bewohner gerade fröhliche Feste feiern. Im silbernen Mondlicht führen
Wassernymphen ihre Reigen auf, stolze Burgen, Schlösser und ehrwürdige
Ruinen, mit wilden Felsen verwachsen, ziehen vorbei. [1].
Die poetische Idee, die dem Stück zu Grunde liegt, ist jedoch nicht der
konkrete, an verschiedenen Episoden festgemachte Flussverlauf, sondern
abstrakt gefasst, die Idee des Fließens. Dabei sind besonders die
vielfach variierten, musikalischen Darstellungen dieses Vorganges zu
beachten; das Entspringen des Wassers an der Quelle, das Plätschern im
Gestein, das Glitzern in der Sonne. [vgl. 2]
Der Fluß und sein Verhalten sowie die damit verbundenen Beobachtungen
sind auch für die hier in der Galerie Hinten gezeigten Arbeiten von
Michael Goller eine geeignete Metapher. In seinen Bildern erforscht der
Künstler die Gleichzeitigkeit von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
Ein Betrachter, stehend an einem Fluß, soll dabei der Ausgangspunkt
einer Annäherung an diese Thematik sein.
Ort wird, wenn wir ihn betreten. Abseits des Betretens gibt es keinen Ort.
Blickt der Betrachter auf den Fluss, so sind Steine auf dem Grund für
ihn sichtbar, ebenso wie vorbei schwimmende Blätter auf der Oberfläche
und Spiegelungen der sichtbaren Welt im Wasser. Das Auge wird sich auf
ein Element fokussieren, trotzdem ist alles gleichzeitig da. Eine
Momentaufnahme als Synonym für Gegenwart.
Zukunft wird aus der Gegenwart erwartet.
Widmen wir uns dem Blatt auf der Oberfläche. Keine Gegenwart ohne
Vergangenheit und Zukunft. Versteht man den Fluss als Zeitstrahl, so
kommt das Blatt für den Betrachter aus der Vergangenheit. Für einen
anderen Betrachter flussaufwärts jedoch, ist das vorbei schwimmende
Blatt immer noch Zukunft.
Das Verborgene zeigt sich offen nach dem Ausatmen am Ausgang des Steins.
Jedes der drei gezeigten Bilder erzählt eine eigene Geschichte. Michael
Goller erweitert den Malgrund auf den Rahmen und die Glasscheibe, ein
konsequentes Mittel bei der Erörterung der Gleichzeitigkeit. Wir
entdecken Zeichnungen als Referenz auf Vergangenes. Wir sehen Gesten
als Symbole für Zufall und Absichtslosigkeit, welche den Fall eines
Blattes auf die Oberfläche des Flusses imitieren. Wir sind
aufgefordert, den flüchtigen Blick abzulegen und der Betrachtung Zeit
zugeben. Gerade die Bilder mit dem monochromen Charakter verlangen
danach.
[1] Eberhard Rudolph, Begleittext Schallplatte, ETERNA
[2] Linda Maria Koldau, Die Moldau ; Smetanas Zyklus "Mein Vaterland“, 2007
[3] Text in Kursiv: Michael Goller