Atemluft fließt durch den Stein

Galerie Hinten, Chemnitz 1.12.2017 – 21.1. 2018

Michael Goller - Atemluft fließt durch den Stein. 2015_35, Öl auf Hartfaser/Holz/Glas & 2016_8, Öl auf Hartfaser/Holz/Glas


Michael Goller – Atemluft fließt durch den Stein
Einführung von Frank Weinhold


Eines der wohl bekanntesten Werke des tschechischen Komponisten Bedřich Smetana ist „Die Moldau“ von 1874 aus dem Zyklus „Mein Vaterland“. Die Komposition schildert den Lauf der Moldau. Sie belauscht ihre ersten zwei Quellen, die warme und die kalte Moldau, verfolgt dann die Vereinigung beider Bäche und den Lauf des Moldaustromes über die weiten Wiesen und Haine, durch Gegenden, wo die Bewohner gerade fröhliche Feste feiern. Im silbernen Mondlicht führen Wassernymphen ihre Reigen auf, stolze Burgen, Schlösser und ehrwürdige Ruinen, mit wilden Felsen verwachsen, ziehen vorbei. [1].

Die poetische Idee, die dem Stück zu Grunde liegt, ist jedoch nicht der konkrete, an verschiedenen Episoden festgemachte Flussverlauf, sondern abstrakt gefasst, die Idee des Fließens. Dabei sind besonders die vielfach variierten, musikalischen Darstellungen dieses Vorganges zu beachten; das Entspringen des Wassers an der Quelle, das Plätschern im Gestein, das Glitzern in der Sonne. [vgl. 2]

Der Fluß und sein Verhalten sowie die damit verbundenen Beobachtungen sind auch für die hier in der Galerie Hinten gezeigten Arbeiten von Michael Goller eine geeignete Metapher. In seinen Bildern erforscht der Künstler die Gleichzeitigkeit von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Ein Betrachter, stehend an einem Fluß, soll dabei der Ausgangspunkt einer Annäherung an diese Thematik sein.

Ort wird, wenn wir ihn betreten. Abseits des Betretens gibt es keinen Ort.

Blickt der Betrachter auf den Fluss, so sind Steine auf dem Grund für ihn sichtbar, ebenso wie vorbei schwimmende Blätter auf der Oberfläche und Spiegelungen der sichtbaren Welt im Wasser. Das Auge wird sich auf ein Element fokussieren, trotzdem ist alles gleichzeitig da. Eine Momentaufnahme als Synonym für Gegenwart.

Zukunft wird aus der Gegenwart erwartet.

Widmen wir uns dem Blatt auf der Oberfläche. Keine Gegenwart ohne Vergangenheit und Zukunft. Versteht man den Fluss als Zeitstrahl, so kommt das Blatt für den Betrachter aus der Vergangenheit. Für einen anderen Betrachter flussaufwärts jedoch, ist das vorbei schwimmende Blatt immer noch Zukunft.

Das Verborgene zeigt sich offen nach dem Ausatmen am Ausgang des Steins.

Jedes der drei gezeigten Bilder erzählt eine eigene Geschichte. Michael Goller erweitert den Malgrund auf den Rahmen und die Glasscheibe, ein konsequentes Mittel bei der Erörterung der Gleichzeitigkeit. Wir entdecken Zeichnungen als Referenz auf Vergangenes. Wir sehen Gesten als Symbole für Zufall und Absichtslosigkeit, welche den Fall eines Blattes auf die Oberfläche des Flusses imitieren. Wir sind aufgefordert, den flüchtigen Blick abzulegen und der Betrachtung Zeit zugeben. Gerade die Bilder mit dem monochromen Charakter verlangen danach.


Michael Goller - Atemluft fließt durch den Stein. 2015_51, Öl auf Hartfaser/Glas/Holz


[1] Eberhard Rudolph, Begleittext Schallplatte, ETERNA
[2] Linda Maria Koldau, Die Moldau ; Smetanas Zyklus "Mein Vaterland“, 2007
[3] Text in Kursiv: Michael Goller