Autistisches Experiment

Turmgalerie Schloss Augustusburg, 11.9. bis 17.10. 2010

Turmgalerie Schloss Augustusburg - Autistisches Experiment. Michael Goller - Malerei und Zeichnung

Turmgalerie Schloss Augustusburg - Autistisches Experiment. Michael Goller - Malerei und Zeichnung

Das Experiment ist unter Politikern – zumal konservativen – nicht sonderlich beliebt. In Kunstkreisen hingegen steht es vergleichsweise hoch im Kurs. Künstler probieren aus, betreten Neuland, zeigen Perspektiven auf, provozieren auch bisweilen. Ohne das Experiment, das immer auch ein Wagnis ist, kann eine Weiterentwicklung in der Kunst kaum stattfinden. Andererseits hat sich auch ein inflationärer Gebrauch etabliert: Ob zur Biennale oder Documenta, auf Kunstmessen oder in den angesagten Galerien: experimentelle Kunst erscheint fast gleichbedeutend für Avantgarde und Hipness und somit als Garant für Besucherzahlen und Verkaufserfolge. Allerdings: nicht immer, wo Experiment drauf steht ist auch Experiment drin... So haben unbegründete und inhaltslose Etikettierungen beim Betrachter freilich zu einer gewissen Abstumpfung geführt.
Indes, dort, wo der Begriff experimentelle Kunst durchaus seine Berechtigung hat, bleibt das tatsächliche Verständnis beim Publikum oftmals auf der Strecke. So etwa z.B. bei dem Annaberger Ausnahmekünstler Carlfriedrich Claus, der sich selbst weniger als Künstler denn als „Experimentator“ verstand und sein gesamtes Leben als schonungsloses „Selbstexperiment“ führte.
Michael Goller hat diese Ausstellung „Autistisches Experiment“ betitelt, nach dem zentralen Zyklus von vier großformatigen Leinwandgemälden, die zwischen 2008 und 2010 entstanden. Versucht Goller damit auf der Erfolgswelle des „Experimentellen“ mitzuschwimmen? Was soll an diesen im Grunde genommen relativ klassischen Gemälden experimentell sein – und was gar autistisch?
Wer Goller näher kennt, der weiß, dass bei ihm nichts von ungefähr kommt. Er ist ein Künstler, der sich seine Gedanken macht. Ein Künstler, der ständig reflektiert über das, was er gegenwärtig tut, über das, was er gerade getan hat und über das, was er künftig tun möchte oder tun wird. Solcherlei Denkarbeit ist in der Malerei nicht ungewöhnlich, sie gehört dazu. Jeder, der schon einmal vor einer weißen Leinwand saß, weiß das aus eigener Erfahrung. Worin liegt also das Experimentelle bei diesem Zyklus?
Zunächst fällt auf, dass sich Goller, was die Farbigkeit anbelangt, im Gegensatz zu seinen sonstigen Arbeiten bei diesem Zyklus äußerste Zurückhaltung auferlegt hat. Malerei in bloßem Schwarz-Weiß ist mit Sicherheit nicht gerade das Nonplusultra für die Arbeit an der Staffelei mit Pinsel und Farben. Allgemein verbindet man mit der Malerei ja eher auch die Farbigkeit, das Monochrome findet sich eher in der Zeichnung oder auch in der Druckgrafik. Vom Rausch der Farben spricht man bei den Expressionisten oder man lobt den sensiblen Umgang mit Farben der sogenannten Dresdner Malkultur.
Doch so ganz reizlos dürfte die Malerei in Schwarzweiß wohl doch nicht sein. Es findet sich sogar ein Fachbegriff dafür: Grisaille und ebenso lassen sich prominente Vertreter anführen: z.B. Picasso (Guernica) oder Gerhard Richters Gemälde aus den 60er und 70er Jahren.
Gollers Interesse an der Reduktion der Farbe ist auf eine Art Konzept zurückzuführen. Und diesem Konzept liegt auch das Experiment zugrunde. Experiment, lat. Versuch, hat den gemeinsamen Wortstamm mit expedio, lat. loslassen, sich frei machen, eigentlich „ohne Füße“.
Es war also eine bewusste – konzeptionelle – Entscheidung, die allermeisten Farbtuben auszusondern und beiseite zu legen. Damit entstanden unbekannte – grundsätzlich andere Bedingungen, als Voraussetzung für ein neues, freies Arbeiten im Experiment.
Doch jedes Experiment braucht eine Fahrplan. Bei Goller hängt dieser Plan an der Atelierwand links neben der Staffelei und formuliert für den Künstler selbst den Prozess der Bildwerdung. Eine Art Leitfaden, ein Mittel zur Selbstverständigung über die eigene Arbeit. Es gibt zunächst eine These, die im Laufe des Experimentes herausgefordert wird und nach Bestätigung oder Widerlegung verlangt.
Man kann vielleicht – vereinfacht ausgedrückt – von einem Wechselspiel sprechen, das bei Goller hier vonstatten geht und letztlich zu diesen Bildern führt.
Ausgangspunkte sind immer Skizzen, die Goller unterwegs unmittelbar aus Eindrücken in ein Skizzenheft notiert: München, Prag, Dörfer, Architekturen. Sie bilden den konkreten Pol, das vom Auge aufgenommene, die als wiedererkennbare und mehr oder weniger konkret zu verortende Elemente in den Bildern auftauchen. Man kann Landschaften und Häuser gerade in dieser Ausstellung beim Blick durch die Fenster als eine Fortsetzung der realen Welt nachvollziehen, die im Kunstwerk eine Brechung erfährt.
Am meiner Wortwahl „auftauchen“ merken Sie schon, dass mit jenen Elementen wohl etwas im Laufe des Experimentes passieren muss. An dieser Stelle kommt also der zweite Pol ins Spiel – die Geste, das Unkonkrete, das aus dem Bauch kommende – eine expressive Malerei mit breitem Pinsel. Die heftigen, breiten Pinselstrukturen legen sich wie ein Rauschen über die Welt, sie verschleiern und verwischen das Konkrete und Wiedererkennbare.
Das gehört zum Gollerschen Experimentieren dazu. Dass er dem Unvorhergesehenen Raum lässt, dass er dem Werk einen offenen Ausgang zugesteht, dass er Veränderungen und Entwicklungen duldet, die am Anfang des Experimentes noch gar nicht auf der Tagesordnung standen. Dieser Prozess darf natürlich nicht ins Uferlose abdriften. Goller hat dafür eine eigenwillige Methode entwickelt, welche ihm erlaubt, entsprechend gegenzusteuern. Es sind die kleinen Sichtfenster oder auch Maskierungen, die er in Form von kleinen Rechtecken, mitunter nur Scheckkartenformate, in die Gemälde einbaut. Während des Malprozesses überklebt er einzelne Stellen mit Papier und versucht, diese beim Weiterarbeiten zu ignorieren, sie zu vergessen. Später zieht er das Papier wieder ab und findet so ein früheres Stück seiner Arbeit wieder, ein Fragment sozusagen, konserviert, hinübergerettet ins das spätere, bestenfalls finale Stadium des Bildes. Damit gelingt es ihm, mehrere Zeitschichten und auch Bedeutungsebenen im Bild sinnfällig zu verbinden.
Und das Autistische? Hier darf der Künstler selbst Wort kommen: „Autistisch bedeutet zunächst Verzicht. Unfreiwillig zwar, doch wenn angenommen, auch ein Weg zu innerer Erneuerung.“ Damit sind wir eigentlich bei einer Art Begründung für seine Malerei angelangt. Es ist eine Art Selbstbehauptung. Die konkrete Welt kann vieles bieten, aber es ist auch ein Überangebot, dessen man schnell überdrüssig, im schlimmsten Fall davon krank werden kann. Da ist es gut, wenn man sich auf das Eigene, auf das, was aus einem selbst, aus dem Inneren kommt, verlassen kann. Und dafür – wie man sieht – reicht auch das Schwarzweiß. Quod erat demonstrandum.

Alexander Stoll, 9/2010